Die Novemberpogrome

Gedenken jenseits der Pflichtübung

09.11.2018

2015.05.17. Dr. Josef Schuster
Dr. Josef Schuster
Am heutigen Tag jähren sich mehrere denkwürdige Ereignisse in der deutschen Geschichte: die Ausrufung der Republik 1919

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, die Novemberpogrome 1938, vor genau 80 Jahren, und der Mauerfall 1989. Anlässlich der Pogrome wurden heute Vormittag Reden gehalten – vom Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin, und vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Besonders beeindruckt hat mich die Rede von Schuster, der nachdrücklich herausgestellt hat, dass es wichtig ist, sowohl gegen Antisemitismus als auch gegen andere Symptome der Menschenfeindlichkeit wie Homophobie, Sexismus und Rassismus aufzustehen. Denn Tatsache ist: Es geht im Kern immer um Menschenfeindlichkeit, es geht darum einzelne Gruppen von Menschen abzuwerten oder zum Feind zu erklären. Eine Form der Menschenfeindlichkeit kommt dabei nie allein. Antisemitismus ist ein Gradmesser für Menschenfeindlichkeit.

Foto Ausstellung der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 
Ausstellung der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit

Gibt es heute auch in Köln Gedenkveranstaltungen? Ich entsinne mich

, dass ich vorgestern in der Volkshochschule ein unauffälliges Hinweisschild zu einer Aussstellung „Alltäglicher Antisemitismus“ von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gesehen habe. Heute habe ich Zeit und schaue mir die Ausstellung an. Es ist eine kleine, aber professionell erstellte Ausstellung. Gut verständlich aufbereitet. Ich glaube erst, der einzige Besucher zu sein, doch es hat tatsächlich noch eine Besucherin den Weg in den Seitenraum im vierten Stock der VHS gefunden. Ich hätte der Ausstellung gewünscht, dass sie mehr Beachtung findet.

Foto Synagoge Köln
Synagoge Köln Roonstraße

Dann suche ich im Internet nach Gedenkveranstaltungen. Gibt es vielleicht einen Schweigemarsch, um an die Opfer des Terrors zu erinnern? Auf der Seite der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit finde ich einen Hinweis auf eine Gedenkveranstaltung in der Synagoge. Ein diskreter Schriftzug erklärt, die Veranstaltung habe schon stattgefunden, aber die Seite gibt dann ausführliche Infos zu einer Veranstaltung, die heute am 09. November stattfinde. Ich setze mir eine Kopfbedeckung aus – eine kurz schwarze Mütze –  und fahre zur Synagoge. Nichts. Alles zu, beim Klingeln öffnet niemand. Später sehe ich, dass eine andere Besucherin es geschafft hat, einen jungen Mann herauszuklingeln, der sagt, das sei schon gestern gewesen. Hätte ich also den Schriftzug auf der Webseite ernst nehmen müssen. Es ist das, was ich immer wieder den kölschen Moment nenne: wenn gut Gemeintes in der Organisation strauchelt.

Bucheinband Hannah Arendt
Cover des Piper Verlages

So ganz gebe ich nicht auf. Ich gehe in die Mayer’sche Buchhandlung und zeige am Infotisch ein Buch vor, das ich in der Stadtbibliothek ausgeliehen habe: Hanna Arendt, Element und Ursprünge totaler Herrschaft. Das Buch enthält ausführliche Texte zum Thema Antisemitismus, und da es 1000 Seiten dick ist, brauche ich etwas mehr Zeit, um es zu lesen. Ich habe bisher nur einzelne Passagen gelesen. Es ist das Standardwerk über den totalitären Terror und behandelt ausführlich den Antisemitismus. Das Buch wird wohl die nächsten Monate auf meinem Küchentisch liegen.

Das Gedenken des nationalsozialistischen Terrors wird von der politischen Rechten häufig als Pflichtübung und Unterwerfung unter Forderungen „der Juden“ denunziert. Tatsächlich ist es ein Akt der gesellschaftlichen Hygiene. Wer sein Haus liebt, wird nie aufhören, es zu putzen und den Kampf mit dem Schmutz aufzunehmen. Die Beschäftigung mit dem Thema liefert Erkenntnisse über Menschenfeindlichkeit auch in der heutigen Gesellschaft. Und nicht zuletzt geht es um Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft, die terrorisiert, deportiert, ermordet wurden. Sie sind uns noch zu nah, als dass wir sie dem Vergessen übergeben könnten.