Mitgefühl

„Wir sind doch alle Menschen, kommen auf dieselbe Art und Weise auf diese Welt. Es gibt kein christliches, kein muslimisches, kein jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. ... Wir dürfen und müssen Acht geben, wir müssen menschlich sein.“

Margot Friedländer


Im laufenden Nahostkonflikt befremdet mich mehr als alles andere der Mangel an oder sogar oft die vollkommene Abwesenheit von Mitgefühl. Mir scheint, dass die Parteinahme für die eine oder andere Seite in der Lage ist, die Teilnahme am Leid von Menschen vollkommen zu unterdrücken.

Als am 07. Oktober 2023 die Hamas in den nahe des Gaza-Streifens gelegenen Gebieten ein Massaker anrichteten, gingen spontan in vielen Ländern, auch bei uns in Deutschland, „propalästinensische“ Demonstranten jubelnd auf die Straße. Für mich ist es unfassbar, dass Menschen sich freuen können über Bilder von verbrannten Zivilisten und enthaupteten Kindern, über Berichte von Vergewaltigung und Verschleppung. Beschämend fand ich auch, dass eine sonst meinungsfreudige progressive Öffentlichkeit in weiten Teilen schwieg und sich in Passivität hüllte. Darauf folgende Kontextualisierungen, Erklärungsversuche für die Ursachen der Gewalt machen es nur schlimmer. Sie geraten in die Nähe von Relativierung, Rechtfertigung und Täter-Opfer-Umkehrung. Als jüdische Gruppen in westlichen Städten Plakate mit den Gesichtern der verschleppten und gefangengehaltenen Menschen klebten, begannen kurz darauf „propalästinensische“ Menschen, diese zu zerkratzen und abzureißen.

Als Reaktion auf den Terrorangriff begann die israelische Armee, Ziele im Gazastreifen zu bombardieren und brachte Panzerverbände an der Grenze in Stellung. An die Bevölkerung erging die Aufforderung, Nord-Gaza zu verlassen. Als ich im Fernsehen die Kolonnen der Flüchtenden sah, Familien die einige wenige Habseligkeiten bei sich trugen, tat es mir in der Seele weh. Gleichzeitig sah ich immer wieder – vor allem auf ausländischen Sendern wie TV5 Monde, RTBF oder BBC – Bilder von Vätern, die weinend ihre toten Kinder aus den Trümmern zogen. In Fernsehdiskussionen wie auch in persönlichen Gesprächen bemerke ich, dass Vertreter des „proisraelischen“ Standpunktes sich nur mühsam überreden lassen zuzugeben, dass die Bevölkerung im Gazastreifen eine ungeheure humanitäre Katastrophe durchlebt.

Der Israel-Palästina-Konflikt ist eine enorm komplexes Problem, mit einer langen Historie, in deren Verlauf sich auf beiden Seiten viel Bitterkeit und berechtigter Zorn angestaut haben. Als Europäer muss man sich davor hüten, aus einer geschützten und behüteten Existenz heraus leichtfertige Urteile oder Rezepte zu verkünden. Zu vielen Einzelthemen habe ich eine dezidierte Meinung, die ich auch äußere. In der aktuellen Situation aber erschüttert mich am meisten, dass nicht nur den kämpfenden Parteien, sondern auch der Öffentlichkeit die Fähigkeit zum Mitgefühl abhanden kommt. „Wir dürfen und müssen Acht geben, wir müssen menschlich sein,“ hat Margot Friedländer bei vielen Anlässen wiederholt.

Meine Sympathie gilt den Palästinensern, denen die israelischen und jüdischen Opfer leidtun.

Meine Sympathie gilt den Israelis und Juden, denen die palästinensischen Opfer leidtun.


https://de.wikipedia.org/wiki/Terrorangriff_der_Hamas_auf_Israel_2023

https://www.redcross.org.uk/stories/disasters-and-emergencies/world/whats-happening-in-gaza-humanitarian-crisis-grows

https://www.juedische-allgemeine.de/politik/zivilisten-sind-zivilisten-auch-in-gaza/?utm_source=pocket-newtab-de-de

https://www.dwds.de/wb/Mitgef%C3%BChl

https://www.tk.de/techniker/magazin/life-balance/stress-bewaeltigen/interview-olga-klimecki-neurowissenschaft-mitgefuehl-2138224?tkcm=ab