Angst haben, aber richtig

Angst schützt uns, macht aber auch manipulierbar

Borwin BandelowDer Angstforscher Prof. Borwin Bandelow von der Universität Göttingen beschreibt zwei grundsätzlich verschiedene Angstsysteme im Gehirn: Einerseits gibt es ein sehr primitives Angstsystem, welches uns vor Gefahren wie tiefem Wasser, Blitz, Donner, Dunkelheit und wilden Tieren schützt. Und dann haben wir auf der anderen Seite ein intelligentes System, was Ängste verarbeiten und analysieren kann. Die Ur-Ängste sind im primitiven Teil des Gehirns, in der Amygdala, beheimatet.  Jemand, der ein Populist ist, wird gut daran tun, das primitive Angstsystem anzusprechen und diese Urängste aufzuwärmen.  (Angst als Waffe, Das Erste 03.11.2018). Denn dieses Ur-Angstsystem ist im Gegensatz zum Vernunftgehirn nicht in der Lage, zu analysieren und zu reflektieren.

Besonders empfänglich sind Menschen, die sich von sozialem Abstieg betroffen oder bedroht sehen; bei ihnen sind die Angstzentren schon stark aktiviert.  Im Midterm-Wahlkampf 2018 konnte Trump mit der Behauptung punkten, die Migranten-Karawane aus Mittelamerika stelle eine Invasion an der Südgrenze und eine Bedrohung der nationalen Sicherheit dar. In Deutschland werden Flucht- und Migrationsbewegungen mit dem Deutungsrahmen „Überflutung“ versehen. In der Bundestagsdebatte über den UN-Flüchtlingspakt sprach ein rechter Abgeordneter vom Migrationspakt als einem „Trojanischen Pferd“: Es werde zu einer weltweiten Völkerwanderung nach Deutschland eingeladen.

Gefährliche Sprache benutzt das Angstsystem des Menschen als Hebel für die Erzeugung von Gewaltbereitschaft. Wer sich einer Bedrohung ausgesetzt sieht puttygen ssh

, hat eine geringe Hemmschwelle, gewalttätig zu werden – schließlich geht es ja um Selbstverteidigung. Gleichzeitig unterdrückt das primitive Angstsystem das vernünftige Nachdenken. Menschen werden empfänglicher für emotionale Botschaften, die nicht mit Fakten belegt sind. Angst öffnet die Tür für das Postfaktische. Darüber hinaus haben die Menschen vor neuen, unbekannten Dingen mehr Angst als vor bekannten Gefahren. Aber wichtig ist eben auch, dass wir die Gefahr als neu wahrnehmen. Wie hoch das Risiko eines Messerangriffs statistisch ist, spielt keine Rolle. Wir machen uns kaum Gedanken über Herz-Kreislauf-Erkrankungen, obwohl 43 Prozent von uns, also Millionen von Menschen, in den kommenden Jahren an so einer Erkrankung sterben werden – und nicht durch ein Messer (Interview Tagesspiegel).

Schlechtes Regieren erhöht den Pegel der Angst

Wie Hans Rosling in seinem Buch Factfulness belegt, ist unsere Welt in einem viel besseren Zustand als die meisten von uns wahrhaben wollen. Es gibt keinen Grund für die Behauptung, alles werde immer schlechter. Dennoch gibt es reale Bedrohungen. Der voranschreitende Klimawandel führt zu merklichen Veränderungen unserer Umwelt und weltweit sind autoritäre Ideologien und Herrschaftssysteme auf dem Vormarsch. Viele Menschen haben Existenzängste, die zum Beispiel mit der Wohnungskatastrophe, der Sorge um die Gesundheit oder der finanziellen Versorgung im Alter zusammenhängen. Die intelligente Aktivierung des Angstsystems bewirkt, dass wir uns Sorgen machen, Vorsorgemaßnahmen treffen und politische Forderungen stellen. Politik muss auf Ängste eingehen können, über Fakten kommunizieren, um Ängste abzubauen, aber auch wirksame Maßnahmen einleiten, wo erforderlich. Hier hat die deutsche Politik der letzten Jahre massiv versagt. Dort, wo offensive Kommunikation erforderlich war, zum Beispiel in der Migrationspolitik, sind die Funktionsträger in Deckung gegangen oder haben zur Dramatisierung beigetragen; dort, wo proaktiv gehandelt werden musste, wurden die Probleme ausgesessen und Maßnahmen verschleppt. Schlechtes Regieren hat seinen Anteil daran, dass der Angstpegel in der deutschen Bevölkerung gestiegen ist.



Zum Weiterlesen:

https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/Angst-als-Waffe-100.html

https://www.tagesspiegel.de/politik/angstforscher-borwin-bandelow-das-vertrauen-in-den-staat-ist-erschuettert/23002840.html