Es ist schon gut ein Jahr her, da spottete ich über die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, sie wirke wie ein entlaufener Zirkusclown. Es war nicht nur eine Anspielung auf ihr Äußeres, sondern vor allem auch auf eine Reihe öffentlicher Auftritte, die ich als clownesk empfand. Solange Nahles noch Arbeits- und Sozialministerin war und sich in dieser Funktion als fleißig und kompetent profilierte, wäre ich auf einen solchen Vergleich nicht gekommen.
Meine Bemerkungen über Andrea Nahles wurden im weiteren Bekanntenkreis weitererzählt. Als ich hörte, man habe diese als frauenfeindlich kommentiert, war ich erst amüsiert, dann aber beschloss ich aber, keine Witze mehr über Nahles zu machen. Es war kein Zurückweichen vor einer Form der politischen Korrektheit. Natürlich darf man Frauen nicht nur kritisieren sondern auch über sie spotten. Es gibt keinen Grund, Frauen taktvoller zu behandeln als Männer. Mich begann jedoch zu diesem Zeitpunkt die Tatsache zu beschäftigen, dass Frauen im Netz – und nicht nur dort – ungleich abfälliger behandelt werden als Männer. Und ich wollte nicht mit in diese Bresche schlagen.
Von Hassbotschaften, die an Journalistinnen wie Dunja Hayali und Anja Reschke, an Politikerinnen wie Claudia Roth, Katharina Schulze oder Renate Künast gerichtet werden
, wird in regelmäßigen Abständen berichtet. Meistens sind Frauen betroffen, die dem linken oder grünen Lager zugerechnet werden. Besonders inbrünstig wird aktuell die 17-jährige Greta Thunberg gehasst. Aber auch nicht politisch tätige Frauen des öffentlichen Lebens können zur Zielscheibe sexistischer Attacken werden, wie im Falle von Natascha Kampusch. Wenn man den Inhalt der Texte und die weiteren im Kontext gemachten Aussagen bewertet, kommt man unschwer zu dem Ergebnis, dass die „Hater“ in der Regel Männer sind und politisch rechts stehen. Die Wortwahl ist oft extrem unflätig und versetzt mit sexistischen Anspielungen, mit Mord- und Vergewaltigungsphantasien.
Wenn die Exzesse, die vollkommene Enthemmung im Sprachgebrauch auf eine rechte Gesinnung hindeuten, so ist die Neigung, Frauen mit besonders abfälligen Schmähungen zu bedenken, kein reines Privileg der Rechten. „Die Merkelnutte“, „Merkel die Verbrecherin“ und ähnliche Vokabeln kenne ich durchaus auch aus dem Wortschatz linker Zeitgenossen. Im Februar dieses Jahres wurde in Paris enthüllt, dass hinter einem jahrelang betriebenen System von Cybermobbing gegen Frauen, vor allem gegen feministische Autorinnen, eine Gruppe stand, in der sich zuvorderst Journalisten der linksalternativen Tageszeitung „Libération“ hervorgetan hatten.
„Frauenfeindlich“ ist als Begriff abgegriffen. Er kam schon vor Jahrzehnten in Mode und wurde gerne und häufig als Keule in der Auseinandersetzung hervorgezogen
, zu Recht und auch zu Unrecht. Wie alle inflationär verwendeten Vokabeln, verlor auch das Wort „frauenfeindlich“ mit der Zeit seine Kraft. Für die obszönen Verbalattacken gegen Frauen aus der Deckung des Internets heraus kenne ich kein angemessenes Adjektiv. „Frauenfeindlich“ wäre mir zu schwach; zu eklig und zu verstörend sind diese feigen Angriffe. Ich liebe die Polemik und spotte viel, gern auch über Frauen. Zurzeit vergeht mir aber das Lachen. Alles hat einen richtigen und einen falschen Zeitpunkt, einen richtigen und einen falschen Kontext. Ich möchte nicht noch Wasser auf die Mühlen der Mobber gießen.
Links
Der Tagesspiegel: Wenn fragile Männlichkeit gefährlich wird
https://hassmelden.de/ Offizielle Website von Reconquista Internet
https://hateaid.org/ Wir sind HateAid.Wir helfen Menschen bei digitalem Hass.
https://www.netzcourage.ch/ Website des Schweizer Vereins Netzcourage
https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/frauenhass-rechtsextremismus-101.html Feminismus als Feindbild