Es ist mir unangenehm, darüber zu schreiben, und ich tue es trotzdem. Hier ist mein Bericht darüber, wie ich Geld ausgegeben habe, um eine Zeitung der rechten Szene zu kaufen.
Eigentlich bin ich auf dem Weg zum Arzt und muss am Hauptbahnhof umsteigen. Wie so oft, wenn ich am Hauptbahnhof bin, steige ich nicht einfach von einem auf das andere Gleis um, sondern sprinte kurz aus der U-Bahn heraus und suche den Zeitungsladen auf. Ich blättere in verschiedenen Wirtschaftszeitungen, da ich etwas über die Ausblicke für das neue Jahr lesen will. Nach einigem Hin und Her entscheide ich mich für das Magazin „Capital“.
Auf dem Weg zur Kasse fällt mir ein, dass ich mir einmal die Wochenzeitung „Junge Freiheit“ anschauen wollte. Ich lese zur Zeit viel über rechten Populismus und Extremismus, aktuell „Die autoritäre Revolte“ von Volker Weiß, und hier finden sich reichlich Verweise auf das Blatt. Ich finde die „Junge Freiheit“ nicht schamhaft irgendwo versteckt, sondern direkt bei den deutschsprachigen Zeitungen. Der Aufmacher der Neujahrsausgabe verspricht Artikel zum Thema Wahrheit und Fake News sowie „von politischer Korrektheit verstellte Diskurse“. Das sind Themen, an denen ich arbeite. Ich beschließe die Zeitung zu kaufen.
An der Kasse sehe ich einen Kassierer stehen, bei dem ich schon öfter eine Zeitung bezahlt habe. Man kennt sich vom Sehen und grüßt sich. Auf einmal bin ich ehrpusselig. Was soll der von mir denken! Ich druckse etwas herum und sehe an der zweiten Kasse eine mir unbekannte Kassiererin. Ich lege die Zeitungen hin und zahle. Der Kassiererin merke ich keine Regung an. Außerdem habe ich eine Lesebrille an, hinter der ich hoffe, etwas maskiert zu sein. „Möchten Sie eine Rechnung?“, fragt sie. Ach nee, lieber nicht.
Eigentlich ist ja nichts verkehrt daran, dass ich mich aus erster Hand über das Denken der politischen Gegenseite informieren. Dennoch macht mir die Vorstellung, meine Mitmenschen könnten mich für rechts halten, etwas aus. Ehrpusseligkeit eben. Vielleicht auch soziale Erwünschtheit. Dann ist da noch die Sache mit dem Geld: 4,50 €. Das „Capital“ kostet doppelt so viel. Eigentlich möchte ich weder die einen noch die anderen mitfinanzieren. Aber der Obulus für den liberalen Kapitalismus schmerzt mich deutlich weniger. Ok, aber ich werde ja jetzt nicht ständig rechte Presse kaufen.
Eine gute Stunde später bin ich wieder zu Hause. Ich schaue im Internet nach, was es Neues gibt. Da fällt mir ein, dass ich ja Printmedien gekauft habe. Ich ziehe die „Neue Freiheit“ aus dem Rucksack. Es ist ein „Debattenmagazin“ für Leute mit Bildungsanspruch. Die Autoren wirken gut informiert und sie haben eine gut verständliche Schreibe. Hier tobt nicht der Mob, den wir von Videos im Fernsehen und Internet kennen, und hier herrscht auch nicht das schrille Marktgeschrei der alternativen Medien. Viele Artikel bemühen den „common sense“; die Texte sind aber wie mit Fäden von gut dosierter rechter Weltanschauung durchzogen. Und aus allen Ritzen lugt die Frage der Identität. Die rechte Szene hat hier ihr theoretisches Flaggschiff
, ein Segment der Bevölkerung hat sein Sprachrohr.Später werfe ich noch einen Blick auf den Internetauftritt der Zeitung. Hier sehen die Schlagzeilen deutlich kämpferischer aus. Für heute habe ich aber genug unternommen https://puttygen.in
, um mich aus Primärquellen über rechtes Denken zu informieren. Ich werde nicht zum Stammleser der „Jungen Freiheit“ – in Zukunft spare ich mir das Geld. Jetzt freue ich mich darauf, in dem Buch von Volker Weiß weiterzulesen.Im Nachhinein fällt mir doch, abgesehen von der stramm rechten Weltanschauung, eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Bildungsbürgern der "Jungen Freiheit" und dem bösen Mob aus den sozialen Netzwerken und öffentlichen Kundgebungen auf: Die einen wie die anderen stehen mit der deutschen Rechtschreibung auf Kriegsfuß. Während der Mob vor allem ein anarchisches Schreiben nach Gehör pflegt, schreibt die "Junge Freiheit" nach Regeln, die früher, vor Jahrzehnten, in den deutschsprachigen Ländern galten. Vielleicht sollte ich da nicht zu viel hineininterpretieren - es könnte sich ja auch einfach um ein Nachwuchsproblem handeln.