Die Beweiskraft der sozialen Übereinstimmung
In ihrem Buch „Postfaktisch“ analysieren die beiden dänischen Philosophen Vincent F. Hendricks und Mads Vestergaard die Mechanismen, die uns etwas als wahr betrachten oder empfinden lassen. In diesem Zusammenhang erwähnen sie die Funktion des sozialen Beweises: Eine Nachricht wirkt legitimer, je mehr Aufmerksamkeit sie bekommt und je mehr sie zirkuliert wird. (Hendricks, S. 124 – 125). Durch die ständige Verbreitung und Wiederholung wird Fehlinformation weißgewaschen.
Der Ausdruck social proof wurde ursprünglich von Robert Cialdini in seinem 1984 erschienenen Buch Influence. The Psychology of Persuasion geprägt (Deutsche Ausgabe S. 163 ff.). Die deutschen Buchausgaben verwenden hier die etwas sperrige Übersetzung soziale Bewährtheit: … die Menge besitzt Beweiskraft. Dieses Prinzip besagt, dass das Verhalten der Menschen weitgehend von dem Verhalten anderer um sie herum geprägt ist, insbesondere vom Verhalten derer, mit denen sie sich identifizieren. (Martin, Goldstein, Cialdini S. 22).
Der Begriff sozialer Beweis findet aktuell vor allem in der Marketinglehre Anwendung: Soziale Beweise können so stark sein, dass man schon allein mit einer glaubhaften Behauptung große Wirkung erzielen kann. Zum Beispiel kann es eine gute Verkaufsstrategie sein, ein Buch noch vor seinem Erscheinen schon als Bestseller zu präsentieren. Besonders wirksam ist dabei das Ähnlichkeitsprinzip: Wir vertrauen am liebsten auf das Urteil von Leuten, die uns ÄHNLICH sind.
Was für das Marketing gilt, kann auf den Markt der politischen Überzeugungen übertragen werden. Wer politisch weit rechts steht, wird anfällig sein für die Überzeugung, dass nicht genau spezifizierte Eliten daran arbeiten, in Deutschland eine Änderung der Bevölkerung herbeizuführen. Als Beweis dient die Tatsache, dass diese Verschwörungstheorie in der Szene Gemeingut ist. Ebenso gehört es zum allgemeinen Kanon der Überzeugungen, dass der Klimawandel nicht existiert, oder wenn ja, dann nicht durch den Menschen verursacht wird. Eine Beschäftigung mit wissenschaftlichen Studien ist dann entbehrlich.
In der linken Szene wiederum werden ebenfalls Behauptungen kolportiert, deren Beweiskraft nur dadurch erzeugt wird, dass sie allgemein anerkannt sind und weitergereicht werden. Das ist der Fall bei der Behauptung, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe den Begriff der „marktkonformen Demokratie“ geprägt, oder bei der Annahme, der Begriff der Verschwörungstheorie sei auf eine Anweisung der CIA im Jahre 1967 zurückzuführen.
Zum Weiterlesen:
Cialdini, Robert B.: Influence. The Psychology of Persuasion. HarperCollins Publishers 2006
Hendricks, Vincent F. und Vestergaard Mads: Postfaktisch. Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien. München 2018 (Blessing)