Wer sind die Rechten und wenn ja wie viele
Am 11. September 1789, gruppierten sich in der verfassungsgebenden Assemblée constituante in Paris die monarchie-freundlichen Repräsentanten rechts, die monarchie-kritischen hingegen links vom Ratspräsidenten. Von da an begann man, die „Aristokraten“, die „Konservativen“, die „Reaktionären“ etc. der politischen Rechten, die „Liberalen“, die „Radikalen“ bzw. die „Revolutionäre“ der politischen Linken zuzuordnen. Wer von einer Rückkehr „vor“ die Revolution träumte, war ein Konservativer, wenn nicht ein Reaktionär, dessen politische Haltung überhaupt nur als „Reaktion“ auf die Moderne definiert wurde; wer hingegen sein politisches Denken an der in neuartiger Weise als „offen“ und „gestaltbar“ vorgestellten Zukunft ausrichtete, bezeichnete sich als liberal oder links (Philipp Sarasin).
Die politische Rechte im heutigen Deutschland umfasst ein Spektrum von konservativen oder rechtspopulistischen Positionen innerhalb des demokratischen Spektrums bis hin zu verschiedenen Erscheinungsformen des antidemokratischen Rechtsextremismus, die ihre äußersten Extreme in Bewegungen wie Faschismus oder Nationalsozialismus finden (Wikipedia). Im aktuellen Sprachgebrauch verwendet man die Bezeichnung „rechts“ im Deutschen meist für autoritäre Strömungen jenseits des demokratischen Konservatismus. Darüber hinaus hat international eine weitere Variante rechter Ideologie Bekanntheit erlangt: der Islamismus.
Macht und Anspruch von Fiktion
Rechte Ideologie ist im Kern immer autoritär. Sie setzt an die Stelle der Autonomie des Individuums die Einordnung in eine ethnisch oder kulturell zu definierende Identität. Universalistische Werte wie allgemeine Menschenrechte und der Gleichheitsgedanke werden bestritten. Zur Begründung des Weltbildes werden Mythen gesetzt, fiktive Idealbilder einer Vergangenheit wie die arische Herkunft oder das Abendland. Ergänzt wird die Fiktion der Vergangenheit durch einen Zukunftsbegriff, der rigide Vorgaben von Schicksal, von historischer Bestimmung oder religiöser Heilserwartung enthält. Ergebnisse von Forschung und Wissenschaft finden nur Akzeptanz, sofern sie nicht dem rechten Weltbild widersprechen. Ein von Menschen verursachter Klimawandel wird kategorisch bestritten; religiös orientierte Rechte wenden sich auch gegen die Evolutionstheorie.
Die Macht der Verunsicherung
Anfällig für rechte Ideologie sind weniger sozial Benachteiligte, sondern eher Menschen, die sich in ihrem sozialen Status und in ihrer Identität durch gesellschaftliche Veränderung bedroht sehen. Dazu zählen auch die sogenannten Modernisierungsskeptiker, die überzeugt sind, dass früher alles besser gewesen sei. Ängste und Verunsicherung befördern den Hang zu autoritären Ideologien, weshalb rechte Strategie ein Interesse daran hat, in der Bevölkerung Ängste zu schüren. Zur Entstehung einer rechten Weltanschauung bedarf es aber auch einer psychologischen Disposition zum Autoritarismus. Die Grundlagen dafür werden schon in der frühen Kindheit gelegt.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Fester Bestandteil rechten Denkens sind Formen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Die einzelnen Phänomene können changieren: Traditionell gehört zum rechten Feindbild Judenfeindlichkeit / Antisemitismus. Da aber die Aufwiegelung des Mobs heute aber in erster Linie über Muslimenfeindlichkeit / Islamophobie erfolgt, kommt es gelegentlich zu einer Kombination der Islamophobie mit israelfreundlichen Positionen, wenn auch nur instrumentell motiviert. Zum traditionellen Repertoire Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gehört darüber hinaus auch Homophobie. Die hindert aber manche homosexuellen Autoren und Politiker, die potenziell selbst Opfer von Menschenfeindlichkeit werden könnten, nicht daran, selbst menschenfeindliche Positionen gegen andere Minderheiten zu beziehen. Dies wird plausibel durch den von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erwarteten Benefit: Selbstaufwertung und Identitätsstiftung, nicht zuletzt aber auch Profilgewinn in der öffentlichen Selbstdarstellung.
Die Neue Rechte
Parallel zu den Manifestationen des Mobs im Internet und auf der Straße findet eine sich intellektuell gebende Theoriebildung der „Neuen Rechten“ statt. Publizistisches Flaggschiff ist die Wochenzeitung „Junge Freiheit„. Die Neue Rechte ist ziemlich alt. Sie greift auf traditionelles rechtes Gedankengut wie Antiaufklärung und die „Konservative Revolution“ der Weimarer Zeit zurück; sie befindet sich darüber hinaus im regen Austausch mit der französischen „génération identitaire„. Viele ihrer Autoren distanzieren sich demonstrativ von den Konzentrationslagern der Nazis. Eine ausführliche Darstellung rechter „intellektueller“ Theoriebildung liefert Volker Weiß in seinem Buch „DIE AUTORITÄRE REVOLTE. Die NEUE RECHTE und der Untergang des Abendlandes“.
Factfulness
Die tagespolitische Auseinandersetzung mit der extremen Rechten konzentriert sich auf die moralische Verurteilung menschenfeindlicher Äußerungen und auf das „Debunking“ von Verschwörungstheorien. Wichtig ist das konsequente Festhalten an dem in der Aufklärung begründeten universellen Humanismus als Gegenposition zu identitär begründeter Abgrenzung. Leider gibt es immer wieder Versuche konservativer Politiker, den Rechten das Wasser abzugraben, indem man Teile ihrer politischen Strategie und vor allem der Rhetorik übernimmt. Damit bewirken sie eine Aufwertung rechter Politik. Der eigentlich Gegenentwurf zu der rechten Welt der erfundenen Mythen und des höheren Schicksals besteht im Festhalten an Fragen der materiellen Wirklichkeit mit ihren schwer berechenbaren technologischen, kommunikativen und ökonomischen Veränderungen. Je strikter wir uns der Welt des Faktischen verpflichten, desto geringer ist der Einfluss postfaktischer Behauptung und ideologischer Scheinrealität.
Zum Weiterlesen:
Weiß, Volker: Die autoritäre Revolte. Die NEUE RECHTE und der Untergang des Abendlandes, Stuttgart 2017 (Klett-Cotta)
Schellhöh, Jennifer u. a.: Großerzählungen des Extremen. Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror, Bielefeld 2018 (transcript)
Renz-Polster, Herbert: Erziehung prägt Gesinnung. Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte – und wie wir ihn aufhalten können, München 2019
https://www.tagesspiegel.de/politik/protest-trotz-wohlstand-sie-waehlen-die-afd-weil-es-ihnen-gut-geht/24861420.html
https://www.tagesschau.de/inland/kriminalstatistik-127.html
Lichtmesz, Martin und Sommerfeld, Caroline: Mit Linken leben, Schnellroda 2019 (Antaios)