Wie wir sind, was die Umwelt aus uns macht und wie Ideologen es nutzen
Rassismus ist ein Symptom gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dabei werden Menschen aufgrund weniger äußerer Merkmale und vermuteter genetischer Abstammung als minderwertig eingeordnet.(1) Der Begriff des Rassismus ist eng verbunden mit dem der Fremdenfeindlichkeit.
Über die psychologischen Grundlagen von Fremdenfeindlichkeit gibt es einen aufschlussreichen Beitrag von dem Angstforscher Borwin Bandelow. (2) Seine Erklärung ist evolutionsgeschichtlich: „Es hat sich früher mal als Überlebensvorteil gezeigt, Fremdenangst zu haben – als wir uns in Stämmen zusammengerottet hatten und jeder mit seinem Stamm zusammengehalten hat. Das heißt, dass die, die gemeinsam andere Stämme bekämpft und geschlagen haben, einen Überlebensvorteil hatten.“
Wenn ich in mich selbst hineinhorche, fallen mir Beispiele dafür ein, dass auch ich Unwillen oder Abneigung gegen fremdländische Menschen empfunden habe. Ich bin in ländlichen Gegenden aufgewachsen, in denen Ausländer selten vorkamen. Griechische oder türkische „Gastarbeiter“ habe ich in meiner Kindheit mit Irritation gesehen, ihre unverständlichen Namen und Sprachen als misstönend empfunden. Aus diesem Impuls des „Angstgehirns“ müssen jedoch nicht Rassismus und Hass entstehen. „Niemand wird geboren, um einen anderen Menschen zu hassen,“ hat Nelson Mandela zu Recht gesagt.
Viele von uns werden aber in ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen abfällige Vokabeln oder Erzählungen über „andersartige“ Menschen finden, über „Polacken“, „Neger“, „Juden“, „Schwule“ und so weiter. Es ist also nicht nur die evolutionsgeschichtlich erworbene Abneigung gegen das Fremde, sondern eine Konditionierung durch unsere Umwelt. Die Behauptung rassischer Überlegenheit beziehungsweise Minderwertigkeit kann nicht evolutionsgeschichtlich erklärt werden. Sie kann nicht nur gegen Fremde, sondern auch gegen Menschen aus der vertrauten Umgebung aufgebaut werden. Menschen können durch ihre Erziehung und Umwelt nachhaltig zu Rassisten geformt werden.
Die evolutionsgeschichtlichen Ursachen und die Einflüsse von Umwelt und Erziehung finden ihre Ergänzung in rassistischer Ideologie. Rassen sind das Ergebnis von Tierzucht (Pferde, Tauben); schon seit dem 19. Jahrhundert gab es aber Versuche, diesen Begriff theoretisch aufwendig auf Menschen anzuwenden.(3) Die Generation unserer Eltern und Großeltern ist mit der Indoktrination durch den nationalsozialistischen Rassenwahn aufgewachsen. Heute schüren rechte Ideologen, politische Bewegungen und Parteien systematisch rassistische Einstellungen. Sie nutzen die Verunsicherung einer ängstlichen Bevölkerung und schon vorher latent oder offen vorhandene rassistische Dispositionen aus. Sie ergänzen diese durch biologistische Behauptungen, „alternative Fakten“ und Verschwörungstheorien. Ein nächster Schritt sind Übergriffe und Anschläge gegen Menschen.
Schwerer greifbar ist dagegen Alltagsrassismus. In einem Interview sagt die Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette: „Rassismus ist eine Diskriminierungsform von vielen und geht weit über individuelle Beleidigungen hinaus. Ich verstehe Rassismus als Vorurteil plus die Macht, dieses Vorurteil durchzusetzen. Das Vorurteil begründet sich bei Rassismus auf der Annahme, dass Nicht-Weißsein eine unerwünschte Abweichung von der Norm ist und die Norm bedroht, aber auch in ihrer Existenz bestätigt. Und mit Macht meine ich gesellschaftliche Privilegien, zum Beispiel auf dem Bildungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt, im Rechtssystem.“(4)
»Rassismus ist viel alltäglicher, als wir uns eingestehen« – Tupoka Ogette im Gespräch mit Radio WDR 5, Redezeit, 2. Juli 2017, 24:14 min.:
Es ist hilfreich, wenn wir uns selbst realistisch sehen und uns eingestehen, dass wir selbst möglicherweise auch nicht frei von fremdenfeindlichen und rassistischen Rückständen sind. Der Chicagoer Psychologe Eckhard Hess fand mithilfe der Pupillometrie heraus, dass sich selbst bei weißen Bürgerrechtlern rassistische Reaktionen nachweisen ließen. Doch wir haben nicht nur ein „Angstgehirn“ und erworbene Prägungen, sondern auch ein „Vernunftgehirn“ und zivilisatorische Werte. Darüber hinaus können sich eventuell bestehende Aversionen auch abbauen – in dem Maße, wie man mit „fremdartigen“ Menschen Erfahrungen macht und damit die Angstkomponente hinter diesen Erfahrungen zurücktritt. „Andersartige“ Menschen verlieren dadurch den Charakter des Fremden.
Ich hatte so gesehen Glück. Ich hatte die Möglichkeit, viel zu reisen. Ich lebe in einer Großstadt, in der man, wenn man es nicht abwehrt, soziale Kontakte mit allen möglichen Menschen hat, zusammen arbeitet, feiert oder Beziehungen schmiedet. Frühe Prägungen habe ich bestimmt nicht vollständig verloren, aber sie treten hinter meinen sozialen Erfahrungen weit in den Hintergrund. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der Vernunft; sie ist eine großartige Ergänzung nicht nur für den manipulativen Verstand, sondern auch für in uns liegende Instinkte. Und die Vernunft bringt auch emotionale Komponenten mit: Vernunft bewirkt, dass wir uns an der Verschiedenheit von Menschen freuen und Rassismus als abscheulich empfinden. Rassismus ist dann das neue Fremde.
Zum Thema:
Eddo-Lodge, Reni: Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche, Stuttgart 2019
Was ist Rassismus? Kritische Texte. Hrsg.: Kimmich, Dorothee u.a., Stuttgart 2016 (Reclam)
Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen. Hg. für das Deutsche Hygiene-Museum von Susanne Wernsing, Christian Geulen und Klaus Vogel. Göttingen 2018
Asumang, Mo: Mo und die Arier. Allein unter Rassisten und Neonazis, Frankfurt 2016
Ogette, Tupoka: exit RACISM. rassismuskritisch denken lernen. Münster 2018
https://www.chbeck.de/geulen-geschichte-rassismus/product/21503