Populistische Einstellungen nehmen zu – vor allem in der politischen Mitte, so eine aktuelle Studie, die das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap im Mai und August 2018 auswertet.(1)
Was aber ist eigentlich Populismus? Ist es schon Populismus, wenn politische Akteure der vermeintlichen Stimme des Volkes folgend, sich von der Emotion des Augenblicks leiten lassen und nicht von der Überzeugung, das Richtige zu tun? Und wir Bürger. Hat nicht jeder von uns schon einmal über „die da oben“ geschimpft? Sich empört gezeigt über korrupte Politiker und Journalisten? Was ist, wenn es am Arbeitsplatz oder beim privaten Abendessen hoch her geht über „die Politiker“. Da kann es passieren, dass auch mir der eine oder andere deftige Kommentar über die Lippen kommt. Wenn ich sauer bin, schreite ich nicht gleich zur Analyse und zum abwägenden Diskurs. Ist aber schon jede Art von Gefühlsausbruch, Polemik oder gar Demagogie gleich als Populismus zu bezeichnen?
Was also ist Populismus im eigentlichen Sinne? Bei Populismus liegt eine Ideologie vor, nach der erstens die Gesellschaft in „das ehrliche Volk“ und „die korrupte Elite“ gespalten ist und zweitens die Verteidigung der Volkssouveränität um jeden Preis das oberste politische Ziel sein muss.(2) Es wird ein Gegensatz aufgebaut zwischen den Interessen der Politiker einerseits und denen der Bürger andererseits. Den Parteien gehe es nur darum, Wählerstimmen zu erhalten und sich weiter nicht um die Ansichten und Interessen der Wähler zu kümmern. Politischer Kompromiss und Interessenausgleich seien nichts anderes sei als ein Verrat der eigenen Prinzipien.(3) Jan Werner Müller benennt in seinem Essay „Was ist Populismus?“ neben dem Anti-Elitären ein weiteres Kriterium für Populismus: das Anti-Pluralistische, den Kernanspruch „Wir – und nur wir – repräsentieren das wahre Volk.“ (Müller S. 26)
Einen sehr interessanten Vortrag zum Thema Populismus hat die Münsteraner Politikwissenschaftlerin Karin Priester im Rahmen der „Osnabrücker Friedensgespräche“ gehalten:
Brexit, Trump und »Populismus« – 2: Statement Karin Priester
Karin Priester stellt dar, wie es zum populistischen Moment kommt, wenn in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit, Abstiegsängste und Repräsentationskrise zusätzlich noch eine besondere Krise, ein Großereignis eintritt, das wie ein Katalysator wirkt – wie die Finanzkrise oder die „Flüchtlingskrise“.
Populistische Momente sind nicht per se negativ zu bewerten. Bei sozialen Bewegungen, bei gesellschaftlichem Widerstand gegen autoritäre Regimes und der Mobilisierung von Großereignissen ist die vorübergehende Verwendung vereinfachender und emotionalisierender Elemente nicht zu vermeiden. Gefährlich wird Populismus aber, wenn der liberale Rechtsstaat als ein Unrechtsregime deklariert wird, gegen das Widerstand legitim sei. Mit diesen Mitteln arbeiten nicht nur rechte, sondern manchmal auch sich links gerierende Populisten. Der Trick besteht in einer Umwertung der Begriffe: die liberale repräsentative Demokratie wird im Namen der Volkssouveränität als autoritär oder totalitär delegitimiert. Damit fühlen sich die Populisten befugt, ihrerseits den anvisierten Weg in Richtung einer autoritären Gesellschaftsordnung als Akt der Auflehnung gegen die Herrschaft des Unrechts zu deklarieren. Dabei stammen populistische Führer selten aus dem „einfachen Volk“. Häufig sind es eher Vertreter von „Supereliten“, die unter Berufung auf das deklassierte „wahre Volk“ und auf die Volkssouveränität ihr eigennütziges Geschäft betreiben.
Links:
https://www.welt-sichten.org/artikel/32815/der-wille-des-volkes-geschehe
https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/260878/was-ist-populismus
http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/240833/das-syndrom-des-populismus
http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/244561/volkes-stimme-rechtspopulistische-ueberzeugungen-der-mitte?p=all
http://www.bpb.de/apuz/234701/populismus-symptom-einer-krise-der-politischen-repraesentation
https://www.vielfalt-mediathek.de/data/spi_auseinandersetzung_rechtspopulismus.pdf
Jan-Werner Müller: Wie viel Populismus verträgt die Demokratie? (Sternstunde Philosophie)
Bücher zum Weiterlesen:
Müller, Jan-Werner: Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin 2016
Mudde, Cas and Cristóval Rovira Kaltwasser: POPULISM. A Very Short Introduction, Oxford University Press 2017
Hillebrand, Ernst (Hg.): Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie? Bonn 2017
Jörke, Dirk und Veith Selk: Theorien des Populismus – zur Einführung. Hamburg 2017
https://www.suhrkamp.de/buecher/die_politische_oekonomie_des_populismus-philip_manow_12728.htmlhttps://www.suhrkamp.de/buecher/die_politische_oekonomie_des_populismus-philip_manow_12728.html