Das von Susan Benesch gegründete Projekt Dangerous Speach erforscht weltweit den Zusammenhang von Sprache und Massengewalt.
Gefährliche Sprache ist eine Ausdrucksweise (in mündlicher oder schriftlicher Sprache oder Bildern), die das Risiko erhöht, dass die Zielgruppe Gewalt gegen Mitglieder einer anderen Gruppe billigt oder sogar sich daran beteiligt. Die Botschaften gefährlicher Sprache greifen auf folgenden Mittel zurück:
- Entmenschlichung: Menschen werden mit Ausdrücken belegt, die eine Ausrottung nahelegen: Schädlinge, Insekten, Krankheiten.
- Eine Gruppe von Menschen wird als tödliche Bedrohung dargestellt, gegen die man sich mit Gewalt verteidigen muss.
- Dem Publikum wird das Gefühl vermittelt, die Gemeinschaft könne durch eine Gruppe von Menschen Unreinheit oder Verseuchung erfahren. Besonders wird auf die Gefährdung von Frauen Bezug genommen.
- Verschlüsselte Sprache: Phrasen und Wörter, die der Sprecher und sein Publikum in einem bestimmten Milieu miteinander teilen.
Gegenüber dem Begriff „Hate Speech“ betont „gefährliche Sprache“, dass es vor allem Angst (fear) ist, die Menschen für aufwiegelnde und gewaltschürende Botschaften empfänglich macht. Angst um den Lebensunterhalt und den sozialen Status, Angst vor unkalkulierbaren gesellschaftlichen Veränderungen. Die toxische Kombination aus Angst und Wut führt dann zu Gewalt. Während „Hate Speech“ direkt die Würde des Opfers angreift, hat „gefährliche Sprache“ den Zweck, andere zu menschenfeindlichen Äußerungen und Handlungen aufzuwiegeln.
In einem Interview mit der Washington Post äußert Benesch ihre Sorge über den Einfluss der Rhetorik des amerikanischen Präsidenten Trump auf die Normen des Diskurses. Die Verschiebung dieser Normen habe dazu beigetragen, dass es für mehr Leute akzeptabler werde, andere Gruppen von Menschen abzuwerten und anzugreifen.
Auch in Deutschland verschieben sich die Normen der Rhetorik. Im August 2018 verstieg sich ein AfD-Politiker auf Twitter zu folgender Äußerung: Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Bürger auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!
Die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren bringt auch eine Verschiebung der Grenzen des Machbaren mit sich (shiftling baselines). Menschenfeindliche Rhetorik erhöht nicht nur die Gewaltbereitschaft gegenüber der angefeindeten Gruppe, sondern auch gegenüber anderen Gruppen von Menschen. US-Präsident Trump hetzt gegen Mexikaner und Journalisten, nicht aber gegen Juden. Trotzdem steigt in diesem Klima der Aufstachelung und des Hasses auch die Bereitschaft zu antisemitischen Ausschreitungen und Gewalttaten.
Wenn eine nur leicht gefährliche Sprache sozial akzeptabler wird, wird auch jene Sprache gebräuchlicher, die eine Stufe gefährlicher ist, sagt Benesch im „Spiegel„-Interview. Debatten seien durchs Internet härter geworden, würden aber statt im Verborgenen öffentlich ausgetragen. Löschen von Beiträgen sei keine Lösung, weil es die Meinung von Menschen nicht verändere. Wichtiger sei es Normen zu verändern. Eine kritische Masse von Menschen muss das Gefühl bekommen, dass es unangemessen ist, sich so zu verhalten oder zu äußern. Gegenrede soll nicht nur gefährliche Sprache anprangern, sondern positive Verhaltensbeispiele aufzeigen – weniger um Hassprediger zu bekehren als um damit die Haltung des Publikums zu beeinflussen.
Susan Benesch hat auch Humor als ein Mittel gegen Hass und Hetze bezeichnet. Ausführliche Untersuchungen zu diesem Thema fehlen aber noch. Bertolt Brecht hat geschrieben: Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht Macht die Stimme heiser. Ich wünsche mir, dass wir Wege finden, uns nicht nur zu empören, sondern auch die Demagogen und ihre Reden zu verlachen - nicht zu bagatellisieren, aber unseren deftigen Spaß mit ihnen zu treiben.
Zum Thema:
Susan Benesch: „Wenn man erst wartet, bis ein Land mit Benzin getränkt ist, ist es zu spät“, Der Spiegel 47/2018, S. 142- 145