Wissenschaft auf Abwegen
Im Jahr 1996 veröffentlichte der Physiker Alan Sokal in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift Social Text einen Hoax-Artikel, Sokal zum Quadrat weiterlesen
Im Jahr 1996 veröffentlichte der Physiker Alan Sokal in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift Social Text einen Hoax-Artikel, Sokal zum Quadrat weiterlesen
Laut dem Wörterbuch von Merriam-Webster bedeutet politische Korrektheit die Einstellung, dass Äußerungen und Handlungen, die Gruppen von Menschen kränken oder beleidigen können, vermieden werden sollten: Definition of politically correct: conforming to a belief that language and practices which could offend political sensibilities (as in matters of sex or race) should be eliminated.
In dieser ursprünglichen Bedeutung wird politische Korrektheit heute kaum noch verwendet. Schon in den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts habe ich diesen Begriff nur in ironischer Verwendung kennengelernt, als Ausdruck für unfreies, kleingeistiges Denken. Von der politischen Rechten wird politische Korrektheit als Kampfbegriff verwendet, um aus ihrer Sicht politische Bevormundung und Zensur zu brandmarken. (Wikipedia). Kampagnen gegen politische Korrektheit werden dabei zur Backlash-Strategie gegen emanzipatorische Bewegungen. Mittlerweile hat politische Korrektheit auch jenseits bestimmter politischer Richtungen als abwertender Begriff in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang gefunden.
Dabei wäre auch eine positive Verwendung des Begriffs möglich: als ein Sprachgebrauch, der durch eine besondere Sensibilisierung gegenüber Minderheiten gekennzeichnet ist und sich der Anti-Diskriminierung verpflichtet fühlt. (Wikipedia) Damit ist nicht eine ständige Gängelung im Sprachgebrauch und Selbstzensur gemeint, sondern der gute Wille, Sprache bewusst einzusetzen. Wer verunsichert ist, welche Worte man wählen soll, um nicht Gruppen von Menschen vor den Kopf zu stoßen oder zu diskriminieren, kann sich an den Regeln politischer Korrektheit orientieren. Es zählt nicht die Perfektion im korrekten Sprachgebrauch, sondern der Wille zu lernen. Die Sicherheit im Sprachgebrauch kommt mit der Praxis.
Viele hier in Deutschland sind sich nicht sicher, wie sie von Menschen sprechen sollen, die schwarze Hautfarbe haben; oder von Menschen, die zur Minderheit der Sinti und Roma gehören. Das deutsche Wort „Zigeuner“ wird als herabsetzend empfunden, während das spanische „gitano“ durchaus eine respektvolle Bezeichnung sein kann. Manche zögern, homosexuelle Männer als „Schwule“ zu bezeichnen, weil dieses Wort früher eine stigmatisierende Bedeutung hatte. Dagegen haben mittlerweile viele Politiker und Journalisten gelernt, dieses Wort zu benutzen, da es die Schwulen mittlerweile selbstbewusst als Eigenbezeichnung verwenden. Es kommt also nicht darauf an, im Sinne einer Gedanken- oder Sprachpolizei total korrekt zu sein. Vielmehr zählt die Absicht, respektvoll zu sprechen und zu schreiben sowie die Bereitschaft sich belehren zu lassen.
Die Regeln politischer Korrektheit sind einem ständigen Wandel unterworfen, wie sich am Beispiel der Wortes „schwul“ zeigen lässt. Regeln und Konventionen werden präzisiert, bestritten, verlacht, zurückgenommen oder neu aufgestellt. So gesehen handelt es sich um einen gesellschaftlichen Konsens, der immer wieder neu besprochen wird, sei es in der Mehrheitsgesellschaft oder in einem Segment. Was nicht zur Diskussion steht, ist allein der Respekt vor dem Menschen und der Wille, eine Sprache zu pflegen, die es vermeidet, pauschal Gruppen von Menschen zu beleidigen oder abzuwerten. Vor allem aber geht es darum, gefährliche Sprache aus dem Diskurs zu verbannen. Diesen Anspruch gilt es mit Leben füllen. Die konformistische Unterwerfung unter den Wortlaut von Regelwerken hingegen wird zu Recht kritisiert und verspottet. So gesehen trägt auch der lustvolle Regelverstoß dazu bei, die politische Korrektheit am Leben zu halten. Korrektheit bedeutet nicht, dass ich meine Meinung nur in staubtrockenem Stil äußern darf. Natürlich darf ich mir auch das Recht herausnehmen, herrlich abzulästern, saftige Polemiken zu schreiben oder einfach laut zu schimpfen.