Ein lupenreiner Faschist

Vom ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder ist die Feststellung bekannt, dass der russische „Präsident“ Vladimir Putin ein lupenreiner Demokrat sei. Schröders Bürgschaft für Putin erfolgte 2004, als Putin schon fünf Jahre im Amt war und zielgerichtet demokratische Strukturen niedergerissen hatte. 2012 bekräftigte Schröder im Deutschlandfunk sein Lob auf  Putin. Da stand Schröder schon jahrelang auf Putins Lohnliste.

Während Schröder und viele andere deutsche und österreichische (Ex-)Politiker sowie Teile der Partei Die Linke und der AfD weiter das Lob Putins sangen, mehrten sich in der Öffentlichkeit – vor allem seit Kriegsbeginn – Darstellungen, die Putin in die Nähe von Hitler rückten. Der ukrainische Präsident Selenskyj ging in einer Rede vor der Knesset so weit

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, Putins Feldzug gegen die Ukraine mit Begriffen zu belegen, die zum Vokabular des Holocausts gehören („Endlösung“).

Bei allem Abscheu vor der Despotie Putins in Russland und seinem Zerstörungsfeldzug gegen die Ukraine, sollte man sich dennoch vor einer Gleichsetzung von Putin mit Hitler hüten. Putin führt einen rücksichtslosen, grausamen Krieg gegen ein unbeugsames Volk. Eine zielgerichtete Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen, vergleichbar dem Holocaust, findet aber nicht statt.

Bei Berichten über Straßenproteste in Russland höre ich zuweilen den Ruf „Путин — вор!“ („Putin ist ein Dieb!“). Dieser Slogan bezieht sich sowohl auf den Tatbestand des Wahlbetrugs als auch auf den Diebstahl an Volkseigentum.  Tatsächlich hat Putin es geschafft, im Zuge seines politischen Aufstiegs es den Oligarchen, die Russland hemmungslos ausgeplündert haben, gleichzutun und sich um ca. 40 Milliarden $ zu bereichern. Man kann sich vorstellen, was ihm bei einem demokratischen Aufbruch in Russland drohen würde. In gewisser Weise kann man ihm glauben, dass er die Ukraine als Bedrohung empfunden hat, nämlich in dem Maße wie sich dort eine demokratische offene Gesellschaft zu etablieren begann.

Doch geht es bei einem Großen Diktator auch nicht ohne Ideologie. Anfang 2014 verpflichtete er hohe Funktionäre, Werke von Philosophen wie Iwan Alexandrowitsch Iljin, Nikolai Alexandrowitsch Berdjajew und Wladimir Sergejewitsch Solowjow zu lesen. Darüber hinaus ist Putin von dem rechtsextremen Theoretiker Alexander Geljewitsch Dugin beeinflusst. Mit Versatzstücken aus den Werken dieser Autoren hat sich Putin ein völkisch-nationalreligiöses Weltbild zusammengezimmert, mit einem revisionistischen Anspruch auf die Territorien des früheren imperialen Russlands und der Sowjetunion. Sein größenwahnsinniger Anspruch, wie der Große Diktator mit der Welt spielen zu können, nährt sich aus der Verfügungsgewalt über das weltgrößte Kernwaffenarsenal.

Wenn Putin kein neuer Hitler ist, so lässt sich doch Schröders Feststellung, dass Putin ein lupenreiner Demokrat sei, ummünzen zu dem Urteil, dass er ein lupenreiner Faschist ist, ganz im Sinne des amerikanischen Historikers Robert Paxton: „Faschismus kann definiert werden als eine Form politischen Verhaltens, das gekennzeichnet ist durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit

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, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen nationalistischen Aktivisten in unbequemer, aber effektiver Zusammenarbeit mit den traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt und mittels einer als erlösend verklärten Gewalt und ohne ethische oder gesetzliche Beschränkungen Ziele der inneren Säuberung und der äußeren Expansion verfolgt.“ (Wikipedia)

Die Aussichten, mit einem faschistischen Herrscher, der auf dem Kriegspfad ist, in Zukunft dauerhaft friedlich koexistieren zu können, stehen nicht gut. Wenn er gewinnt, wird ihn das zu weiteren Übergriffen auf Nachbarstaaten ermutigen. Wenn er verliert, wird er möglicherweise, in die Ecke getrieben, zu noch extremeren Mitteln greifen. Bleibt zu hoffen, dass das ukrainische Abenteuer in der russischen Gesellschaft oder in den Reihen der Machteliten und des Militärs eine Entwicklung einsetzen lässt, die Putins Herrschaft wie einen zu stark aufgeblasenen Ballon verpuffen lässt.


https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/analyse-unseres-partnerportals-economist-russland-wladimir-putin-steht-im-bann-eines-einzigartigen-faschismus_id_129948359.html

Heinrich August Winkler: Was Putin mit Hitler verbindet. Wie viele Autokraten und Diktatoren vor ihm hat sich auch der russische Präsident zum Ultranationalisten entwickelt. In: Die Zeit, 10. März 2022, S. 8

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-putin-faschismus-101.html

https://www.n-tv.de/politik/Wie-viel-Hitler-steckt-in-Putin-article23189762.html

https://www.gmx.net/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/experte-analysiert-nationalisten-erinnert-putin-36710018

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Emilio_Gentile

https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Paxton

https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Griffin